[Ideen]

 
Einkaufszentrum Webergasse

Dresden, Einkaufszentrum Webergasse, Blick von der Gaststätte „Wallterrasse“ auf das Haus der Dienste, rechts die Automatenhalle, im Hintergrund der Durchgang zum Altmarkt, von Südwesten; 1958-1962 von Wolfgang Hänsch, Gerd Dettmar, Werner Wunderwald und Hans Kriesche, Innengestaltung von Lieselotte Filbrandt und Heinz Zimmermann

 
Geschäftszentrum Lijnbaan

Rotterdam, Geschäftszentrum Lijnbaan, Mittelabschnitt mit Kopfbauten, Blick vom Oldenbarneveltsplaats, von Südosten; 1949-1953 von Jacob Berend Bakema und Johannes Hendrik van den Broek

 

Ost- und Westmoderne im internationalen Vergleich
Bei der Beschreibung und Einordnung von Bauten aus den drei Jahrzehnten nach 1945 werden oft Ähnlichkeiten zwischen Gestaltungen östlich und westlich der politischen Trennlinie festgestellt. Solche Ähnlichkeiten hervorzuheben ist dann richtig und notwendig, wenn wie hier das ältere Vorbild, das Einkaufszentrum Lijnbaan in der Innenstadt von Rotterdam, offensichtlich den Entwurf der Dresdener Architekten für die neue Webergasse angeregt hat.
Mit der Einfassung des rechteckigen Raums durch zweigeschossige Ladenzeilen und seiner Gliederung durch Vordächer und abgedeckte Pergolen lassen die Bilder ein Gestaltungsmoment erkennen, das die zwei Geschäftszentren verbindet. Ein Blick auf den Lageplan der Webergasse zeigte jedoch, dass die Entwerfer um Wolfgang Hänsch die Rotterdamer Lösung nicht einfach reproduziert, sondern für die Gestaltung eines Z-förmigen Außenraums abgewandelt und mit eigenständigen Einzelbauten ergänzt haben. Daher würde eine Analyse beider Baukomplexe, gründlich wie der Artikel von Wolfgang Kil über die Webergasse in dem Buch „Wolfgang Hänsch – Architekt der Dresdner Moderne“, den Vergleich relativieren und ihn zugleich präzisieren.
Genau diese Unterscheidung zwischen strukturellem Bezug und gebauter Nachbildung bleibt außer Acht, wenn etwa die Lijnbaan als „Vorbild“ für den Gesamtplan der Prager Straße in Dresden oder gar den des Einkaufs- und Versorgungszentrums von Halle-Neustadt bezeichnet wird. Solcher Gleichsetzerei liegt eine Nachlässigkeit zu Grunde, die sich eine Begründung nach wissenschaftlich nachvollziehbaren Methoden gern erspart. Hinzu kommt die Einordnung aller möglichen Gestaltungen unter dem Allgemeinbegriff der Nachkriegsmoderne. Originäre Bauten erscheinen so als bloße Nachahmungen von (ebenso wenig geschätzten) Baulichkeiten aus dem „alten Westen“, was dem Streben vieler Politiker, Beamten und leitender Angestellten nach Beseitigung solcher „Schandflecke“ Vorschub leistet.
Wer als Journalist oder gar als Fachkollege derart destruktiven Wünschen nachgibt, dem ist nicht zu raten und nicht zu helfen. Umso mehr gewinnt die Arbeit der Initiativen an Wert, die sich an Universitäten, in Planungsverbänden und besonders „vor Ort“, bis in den Dörfern, der Erhaltung und Erforschung jüngerer Baugeschichtszeugen widmen. Sie zu unterstützen, bedeutet einen weiten Blick über die Architekturgeschichte Europas mit der genauen Kenntnis deutscher Entwicklungen, ein Gespür für die räumlichen Werte mit dem Sinn für das Detail zu verbinden.

Maria-Magdalenen-Kirche

Berlin Pankow, Maria-Magdalenen-Kirche, Platanenstraße, Ansicht von Südosten; 1929-1930 von Felix Sturm (eingeweiht am 21. September 1930), Terrakotta-Relief „Noli me tangere“ von W. Halbhuber

 

Expressive Architektur der 1920er Jahre, in Berlin und anderswo
Die Dynamik der zwanziger Jahre in der deutschen Architektur drängte zur Moderne. Indem die Entwerfer des Neuen Bauens sich selbst in Richtung Sachlichkeit, analytischer Funktionalität entwickelten, trieben sie zugleich die Entwicklung allen Bauens in Deutschland voran. Diese ging von der Repräsentation zur Präsentation, vom „Darstellen“ der Rangordnung der Zwecke zum Aufzeigen der reinen Qualitas des jeweiligen Zwecks, frei von jeder hierarchischen Beziehung. Das ist das vollkommen Neue der Architekturmoderne.
Architekturgeschichte muss die Entwicklung zur Moderne historisch genau, vom Ausgangspunkt bis zum Ziel, analysieren; doch darf sie sie nicht pur teleologisch, unter Außerachtlassung aller „Zwischenstufen“, darstellen. Deren markanteste, die expressive Architektur aus der Mitte des Jahrzehnts, der Zeit zwischen Neobarock und Kubismus, gehört deshalb als eigenständiges Phänomen auf die Forschungs-Agenda.
Die expressive Architektur zeigte sich stark von den ekstatischen Bauvisionen des Expressionismus beeindruckt; kaum irgendwo sonst wurde die Avantgarde von gestern so gründlich für das Alltagsbauen ausgewertet wie in Deutschland. Historische Formen konnten nicht mehr einfach nachgeahmt, sondern mussten „ausdrucksvoll“ stilisiert werden – kristallin oder kubisch in Klinkern, auch in Terrakotta und Beton, mit Kontrasten zu kräftig eingefärbten Putzflächen. Deren Feuerfarben stehen oft ganz unvermittelt zu den spitzigen Details in kalten Blau- und Grüntönen.
Auch die beliebten Figuren und Reliefs an den Bauten wurden stark ins „Elementare“ und „Ekstatische“ verfremdet. Deren Grundgliederungen aber blieben meist dem historischen Repertoire verhaftet, von der Gotik über den englischen Manierismus der Tudorzeit bis zu Barock und Rokoko. Dies zeigte sich vor allem an Kirchen beider Konfessionen aus der Mitte des Jahrzehnts, ähnlich auch an Beamtenbauten wie denen der Reichspost. In ihrer Monumentalität trugen sie ein betont irrationales Pathos vor; sie sollten als Kunstwerke, im Feuer der Leidenschaft geformt, wirken.
Damit standen sie den sachlich-leichten Baukörpern der Moderne wie trotzige Antithesen gegenüber. (Erst zum Ende der zwanziger Jahre hin wuchs die Zahl der baulichen Vermittlungsversuche, meist in Form kubischer, leicht verspielter Baugestalten.)
Erkennbar wird hier, wie in jedem Unterschied, ein Moment des Gegensätzlichen: Während die Architekten des Neuen Bauens jegliche Rangordnungen verwarfen, hielten die expressiven Entwerfer im Ganzen und im Detail an traditionellen Hierarchien fest; sie wollten das künstlerisch Bedeutsame erhalten und erheben, indem sie es abstrakt stilisierten und damit aktuell erscheinen ließen. In diesem Gegensatz konkretisierte sich ein historischer Konflikt. Er äußerte sich in architektonischen Formen, war aber nicht nur für die Architekturentwicklung in Deutschland signifikant. Darin liegt die Berechtigung, die expressive Architektur wie ihren Widerpart umfassend zu untersuchen.

Dircksenstraße

Berlin, Randbereich des mittelalterlichen Stadtkerns zwischen Alexanderplatz und Spree, an der Dircksenstraße, Südostseite; Niederlegung und Überbauung der Festungswerke, Lagepläne mit Bau- und Raumstrukturen von ca. 1750, 1866 und 1930

 

Festungsstädte in Europa – Raumstrukturen im heutigen Leben
In vielen Städten Deutschlands und Europas haben sich Spuren der großen Festungswerke erhalten, die sie einst umschlossen. In der strengen Trennung von „Außen“ und „Innen“ prägte der Festungscharakter ganze Städte. Bis heute beeinflussen die Verteidigungsanlagen der Neuzeit Raumbereiche in den Cities, seien es die Boulevards und Grünringe der früheren Wallanlagen, die Zitadellen als Stadtfestungen (Erfurt), die Außenforts von Magdeburg oder Raumformen wie die des Berliner Hausvogteiplatzes. Sie erzählen vom konzentrierten Stadtleben innerhalb der Festungsmauern, beginnend mit der Einbeziehung mittelalterlicher Bauten und Räume in das neue „System“ im 16. und 17. Jahrhundert bis zur teils jahrzehntelangen Geschichte der „Entfestigung“ im späten 19. Jahrhundert.
Der Bau von Fortifikationen war ein europäisches Phänomen. Überall entstanden Abwandlungen der großen Festungssysteme, zeugten vom kriegerischen Ehrgeiz in großen und kleinen Reichen. Das zeigen die Festungsstädte Naarden in den Niederlanden und Gamlebyen bei Fredrikstad in Norwegen ebenso wie ihre preußischen Entsprechungen Spandau und Kostrzyn (Küstrin). So besitzen Poznan in Großpolen wie auch Magdeburg in der Kette von Außenforts im Westbereich eine gemeinsame Grundstruktur. In beiden Städten finden sich noch typische „Rayonbauten“, bewusst in Holz errichtet, damit sie im Kriegsfall schnell abzuräumen waren – für ein freies Schussfeld vor den Bastionen. Auch in Spandau lassen sich die letzten Bauten dieser Art im Stadtbild entdecken.
Dafür weniger bekannt ist Dömitz, eine rein erhaltene mecklenburgische Festungsstadt. Auch die Spuren der Fortifikationen Stralsunds und des obersächsischen Wittenberg werden bislang kaum beachtet. Während in Süddeutschland der Ehrenbreitstein und die bayrischen Landesfestung Ingolstadt seit langem gut gepflegt sind und Scharen begeisterter Touristen sie besuchen, bleibt die Festungsgeschichte Berlins und Spandaus weithin die des Vergessens nach der Zerstörung.
Eine architekturhistorische Forschung muss all diese Baubeispiele mit gleicher Intensität untersuchen; sie darf nicht von Zufällen der Erhaltung oder gar der politischen Konjunktur abhängig sein. Die Stadtfestungen und Festungsstädte sind als historisches Phänomen zu analysieren, als technische Leistung zu erfassen wie als Gestaltausdruck ihrer Zeit zu begreifen. Nur so werden die bislang vernachlässigten deutschen Beispiele im europäischen Zusammenhang vergleichbar, lassen sich ihre Wirkungen bis ins Heute verstehen.
Diese Forschungsaufgabe übersteigt in ihren Dimensionen weit das, was ein Einzelner leisten kann. Gerade deshalb wird hier ihre Bedeutung aufgezeigt. Wenn sich Interessierte davon anregen ließen, wäre ein erster Schritt getan.